David Stöhr im Interview

David Stöhr studierte in Wien Psychologie und anschließend Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar. Seine Inszenierungen »Lulu« und »Glaube Liebe Hoffnung« wurden auf internationalen Festivals gezeigt. Ab der Spielzeit 2016 war er als Regieassistent an der Schaubühne am Lehniner Platz. In der Zusammenarbeit mit Thomas Ostermeier war er Co-Regisseur bei der Inszenierung von »Im Herzen der Gewalt« von Edouard Louis. Kurz darauf inszenierte er »März« nach Heinar Kipphardt. Es folgten Arbeiten am Theater Magdeburg, an der HMT Rostock und am Staatstheater Darmstadt. Am 20. Oktober 2022 feiert David Stöhr mit Matija Vlatković und dem Ensemble die Premiere ihres Stücks »Invisible Game« im Studio des Heimathafen Neukölln.

Wir haben im Theater die Freiheit, die absurdesten Zitate und Presseerklärungen seitens der Politik, die NGOS normalerweise einfach so hinnehmen müssen, lebendig zu machen und vorzuführen.

»Invisible Game« thematisiert illegale Push-Backs in den Grenzregionen Europas. Wann und in welchem Kontext entstand die Idee, dazu ein Stück zu erarbeiten?

Matija hat mir an einem Abend von seinen Fällen und seiner Arbeit beim ECCHR berichtet und, dass er gerne davon im Theater erzählen möchte. Mir war zwar schon klar, was alles an den EU-Grenzen stattfindet und, dass es alles illegal ist, was die Behörden da veranstalten. Dass Menschen im Mittelmeer versenkt werden und aus der EU geradezu herausgeprügelt werden. Die Details in seinen Berichten haben aber für mich nochmal eine neue Ebene aufgemacht und mich sehr interessiert. Ich wollte verstehen, wie das System dahinter funktioniert, auch, weil ich glaube, es ist wichtig davon zu erzählen und die Machstrukturen auf verschiedenen Wegen sichtbar zu machen. NGOS und Journalist*innen sind da zwar dran, aber ich denke es hilft, im Theater nochmal aus einer anderen Perspektive hinzuschauen. Matija sprach immer von kafkaesken Situationen. Ich glaube das trifft es ganz gut. Die Personen von den höchsten Entscheider*innen hinab bis zu den ausführenden Polizist*innen befinden sich in höchst problematischen Ambivalenzen und Abhangigkeitsbeziehungen. Sie können nur falsche Entscheidungen treffen. Das muss man dann natürlich verheimlichen. Menschen auf der Flucht nennen den Versuch über die Grenze zu kommen »The Game«. Wir haben unser Stück »Invisible Game« genannt, weil wir den Fokus auf die Seite legen, die uns eigentlich auch viel näher ist. Auf die Seite derjenigen, die Europa als Festung mit allen Mitteln verteidigen und ihre Verbrechen wie in einem unsichtbaren Spiel verschleiern.

Was hat dich in der Recherchearbeit zum Stück am meisten berührt?

Es war die emotional anstrengendste Recherche zu einem Theaterstück, die ich je gemacht habe. Es gibt Ton- und Videoaufnahmen und detaillierte Testimonies von den Folterverbrechen der Polizei in allen Grenzgebieten Europas. Das ist einfach schwer zu ertragen, selbst wenn man versucht, es mit einem analytischen Blick anzuschauen und zu hören.

Wie hat sich das Ensemble zusammengefunden?

Wir sind da sehr assoziativ vorgegangen und haben nach und nach die Figuren geschrieben und dann Menschen gesucht, die sich schon mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Uns war wichtig, dass jede*r im Team bereits einen Zugang dazu hat. Fast alle im Team haben zu Flucht und Migration Berührungspunkte gehabt und haben sich in diesem Zusammenhang einbringen können.

Was ist eure Herangehensweise bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Geschichten?

Wir haben eine akribische und detaillierte Recherche betrieben. Dazu haben wir auch mit Journalist*innen und Expert*innen eng kooperiert. Es war uns wichtig, dass wir bis ins kleinste Detail Bescheid wissen, worüber wir reden. Dann haben wir begonnen zu ordnen und gemeinsam zu verstehen, was wir erzählen wollen. Wir sind dann darauf gekommen, dass es selten eine Erzählung über die Täter*innen gibt. Zumindest keine, die der Komplexität des Systems gerecht wird. Dann sind wir assoziativ diesem Weg gefolgt und haben angefangen, das Stück zu entwickeln. Wir haben versucht zu verstehen, wie das alles funktioniert und ineinandergreift und wie wir das erzählen können. So haben wir einen Plot, Dialoge, chorische Mantras und dokumentarisches Material zusammengetragen.

An welche Grenzen stoßt ihr bei der Stückentwicklung?

An die Grenzen der Geduld. Nein, natürlich an die Grenze dessen, dass wir in der kurzen Zeit an einem Abend nicht all das unterbekommen, was wir gerne drin hätten.

Wie viele verschiedene Blickwinkel finden sich im Stück wieder?

So viele wie wir gefunden haben. Außerdem machen wir nach den Vorstellungen Gespräche mit Expert*innen, die das ganze besprechen. Also nochmal eine neue Ebene der Auseinandersetzung.

Was kann Theater, was die Arbeit von NGOS nicht kann?

Wir haben im Theater die Freiheit, die absurdesten Zitate und Presseerklärungen seitens der Politik, die NGOS normalerweise einfach so hinnehmen müssen, lebendig zu machen und vorzuführen. Damit hoffen wir, das unsichtbare Spiel sichtbar zu machen. Wir können außerdem die Thematik mit anderen Diskursen zusammendenken und dann damit spielen. Interessanterweise erklärte sich das kroatische Innenministerium zu einem Video bereit, welches Push-Back Gewalt dokumentiert, indem sie sagten, es könne sich ja jeder Polizeiuniformen anziehen. Wir haben das jetzt mal gemacht und schauen jetzt, was dabei herauskommt.