News from the Past — Interview

Am 24. und 25. Juni ist das ukrainisch-deutsche Stück News from the Past bei uns im Saal zu sehen. Das Stück ist Teil des Festivals Performing Exiles und begibt sich auf die Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit mit der Ukraine. Welche Rolle spielt heute der Kampf um die Erzählung der Vergangenheit? Vielleicht verhilft die Reise in die Vergangenheit zu einem besseren Verständnis der Gegenwart? Um mehr Einblick in die Hintergründe zum Stück zu bekommen, haben wir uns mit der Künstlerischen Projektleitung Martín Valdés-Stauber, der Dramaturgin Felicitas Friedrich und den Schauspieler*innen Leoni Schulz, Edmund Telgenkämper, Dmytro Oliinyk und Vitalina Bibliv getroffen.

Ohne die Vergangenheit ist Zukunft nicht möglich. Wir müssen nachforschen, um Fehler nicht zu wiederholen, die sich manchmal in Zyklen wiederholen.

Wie entstand die Idee zu dem Stück?

Martín Valdés-Stauber (Künstlerische Projektleitung): Stas Zhyrkov, Pavlo Arie und ich hatten uns bereits 2020 digital während der Pandemie kennengelernt. Gemeinsam mit weiteren ukrainischen Künstler*innen gründeten wir 2021 eine »Sisterhood«, um den künstlerischen Austausch dauerhaft fortzuführen. Bewusst fand unsere erste gemeinsame Veranstaltung in Mariupol in unmittelbarer Nähe des damaligen Frontverlaufs statt. Im Dezember 2021 veranstalteten wir an den Münchner Kammerspielen ein Festival »Entfernte Nachbarinnen: Kyiv-München«. Kaum jemand verstand damals den Titel, der zwei Monate selbsterklärend sein sollte… Voller Vorfreude planten wir beim Festival neue Projekte, die sich mit den historischen Tiefenschichten und Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland befassen sollten. Nach dem 24. Februar 2022 war uns allen klar, dass wir, unter gänzlich anderen Bedingungen, an diesen Themen festhalten müssen. Wenn die Vergangenheit zu einem umkämpften, strategischen Feld wird, dann müssen wir darauf auch mit den Mitteln der Kunst reagieren.

Was können wir von »News from the Past« erwarten?

Leoni Schulz (Schauspielerin): Entstanden ist der Abend aus einer gemeinsamen Suche, zunächst vor allem in der Geschichte (mit Fokus auf die Jahre 1933 bis 1945) beider Länder, der Ukraine und Deutschland. Und in diesem Prozess ist eine sehr enge Verbindung zwischen uns Spielenden aber auch dem ganzen Team entstanden, die es uns ermöglicht hat auch sehr persönliche Geschichten miteinander zu teilen und dabei einen Dialog über Geschichte, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Gang zu setzen, voneinander zu lernen, Überraschendes und natürlich auch Gemeinsames zu entdecken. Und das teilen wir jetzt mit dem Publikum und laden auch die Zuschauenden zu diesem Prozess ein und dazu, die Emotionen, den Humor, die Tränen, die verschiedenen Sprachen und Geschichten mit uns zu erleben.

Was hat euch in der Recherchearbeit zum Stück am meisten bewegt?

Edmund Telgenkämper (Schauspieler): Der Probenprozess war vom ersten Tag an sehr offen, vertraut und überaus herzlich. Obwohl Kyiv am Tag vor unserem Proben-Beginn erneut schwer bombardiert worden war, war die Stimmung gelöst, es wurden Scherze gemacht… das hat mich überrascht. Vitalina meinte, ohne Humor hätte die Ukraine den Krieg bereits in der ersten Woche verloren. Im Mittelpunkt stand von vorn herein die Begegnung der Menschen, die hier in unserem Projekt zusammen kamen, und die Möglichkeit, die Geschichte unserer beider Länder näher kennenzulernen.

Oft braucht es nicht einmal Worte um sich zu verbinden. Mit großer Offenheit haben wir persönliche Erlebnisse geteilt, gemeinsam gelacht und geweint, von den Schmerzen und Ängsten erzählt. Es war ein Versuch, über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit die Gegenwart und die eigene Identität zu erspüren. Das war heilsam und kraftvoll und hat mich sehr berührt.

Wie habt ihr euch das Stück erarbeitet? Wie war eure Herangehensweise?

Felicitas Friedrich (Dramaturgin): Als wir im Oktober 2022 im Theaterlabor Neuperlach mit unseren Proben begannen, hatten wir bereits das Grundgerüst: Eine Begegnung zwischen deutschen und ukrainischen Schauspieler*innen, die sich und das Publikum in einem Radioplay mit ihren gegenseitigen Vergangenheiten konfrontieren. Wir hatten im Vorfeld schon historische Nachrichten aus den 1930er Jahren von ukrainischer und deutscher Seite recherchiert, die uns wichtig oder unbekannt erschienen. Diese ‚News‘ waren zu Beginn der Proben eine unserer Gesprächsgrundlagen: Wir haben fast eine Woche gebraucht, um sie uns gegenseitig zu erzählen und zu erklären, denn hinter jeder Nachricht stehen erklärungsbedürftige Kontexte. Und wir sind natürlich nie bei der Vergangenheit geblieben, sondern sind auch immer wieder in unsere Gegenwart gesprungen. Das war unvermeidlich, aber auch unerlässlich. »News from the Past« ist sehr stark von der Begegnung innerhalb des künstlerischen Teams und dem Werkstattcharakter unserer Arbeit geprägt.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Recherchearbeit zum Stück?

Felicitas Friedrich (Dramaturgin): Wie findet man heraus, was man über die eigene Vergangenheit nicht weiß? Und aus welcher Perspektive, mit welchen Interessen wählen wir Ereignisse und das Handeln von Personen aus? Es ist niemals nur ein Ereignis, das für den Verlauf der Geschichte und ihr Verständnis entscheidend ist. Aber manchmal ist ein Ereignis wie eine Lupe, unter der sich die Folgen und Bedingungen späterer Entwicklungen erkennen lassen. Es war schwierig Nachrichten auszuwählen für den Zeitraum 1931 bis 1945, in dem in Deutschland und der Ukraine so viel passiert ist. Noch schwieriger aber war, bei dieser Auswahl nicht immer schon eine Dramaturgie des Abends und damit eine kohärente Interpretation der Gegenwart vorwegzunehmen. Wir wollten keine geglättete Geschichtserzählung schaffen oder eine eindeutige Orientierung in der Gegenwart durch die Auswahl der Nachrichten stiften. Uns war es wichtig, Brüche offenzuhalten.

An welche Grenzen seid ihr bei der Stückentwicklung gestoßen?

Edmund Telgenkämper (Schauspieler): Stas bat auch Leoni und mich, einen Monolog für den Abend zu schreiben. Dabei beschäftigte mich die Frage, wie weit ich in meiner persönlichen Gegenwart von meiner Vergangenheit, der meiner Eltern und Grosseltern beeinflusst bin, was es möglicherweise gilt, loszulassen und in welchem Prozess wir als Gesellschaft sind… und die Frage, inwieweit sich Vergangenheit wiederholen muss. Das Stück wurde für mich zu einer Momentaufnahme der eigenen Fragen, Ängste und Dämonen, die sich in der Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit und der aktuellen Gegenwart auftun, ohne dabei sofort Antworten zu finden. Vieles habe ich während der Proben neu gelernt und erfahren, zum Beispiel über die Geschichte der Ukraine, Deutschlands und über die Geschichte meiner Familie, die ich in langen Gesprächen mit meiner Mutter erforschte.

Der zweite Vorstellungsblock fand in der Gedenkstätte des früheren KZ Dachau statt. Eine besondere Herausforderung, da ich mir schwer vorstellen konnte, an einem Ort wie diesen Theater zu machen. Am Ende war ich von der Begegnung, die dort stattfand, tief bewegt.

Wie kann extreme Gewalt erzählt werden?

Dmytro Oliinyk (Schauspieler): Ich kann nicht sagen, wie man darüber sprechen kann oder soll. Aber ich weiß, dass es in einem Land, in dem Krieg herrscht und man gegen seinen eigenen Willen Zeuge und manchmal sogar Opfer der Gewalt des Aggressors Russland wird, es unmöglich ist, nicht über diese Erfahrung zu reden. Wir müssen einen Weg finden, über diese Realität zu sprechen, um die Täter zu bennenen, weiteres Leid zu verhindern, eindringlich zu warnen und irgendwann die Schuldigen bestrafen zu können.

Warum ist damals wichtig für heute?

Vitalina Bibliv (Schauspielerin): Ohne die Vergangenheit ist Zukunft nicht möglich. Wir müssen nachforschen, um Fehler nicht zu wiederholen, die sich manchmal in Zyklen wiederholen!

Wie wichtig ist »Erinnerung als Arbeit an der Gegenwart«?

Martín Valdés-Stauber (Künstlerische Projektleitung): Unter diesem Titel habe ich einen Künstlerischen Forschungsbereich gegründet, der das Stück »News from the Past« (gemeinsam mit den Münchner Kammerspielen und der KZ Gedenkstätte Dachau) produziert hat. Anlass war auch ein gleichnamiges Festival des Projekts »Erinnerung als Arbeit an der Gegenwart« im Herbst 2022. Im Kern stellten wir mit internationalen Kolleg*innen die Frage, was verschiedene künstlerische Strategien zur Erinnerungsarbeit beitragen können.
»News from the Past« nimmt dabei eine besondere Rolle zwischen Schauspiel und Dokumentartheater ein. Regisseur Stas Zyhrkov betont, dass ein klares Verständnis der Gegenwart, um sich behaupten zu können, eine bessere Kenntnis des Vergangenen erfordert. So verschränken wir historische Forschung und künstlerische Arbeit, um Erfahrungsräume und Gesprächsgelegenheiten zu schaffen. Wir erleben einen Kampf um die Erzählung der Vergangenheit und müssen zugleich feststellen: Unsere Darstellung von Vergangenheit und unsere Erinnerungsarbeit zeigt, wer wir gegenwärtig sind und sein wollen.