Raphael Thelen im Interview

Raphael Thelen, geboren 1985, lebt als Autor, Aktivist und Speaker in Berlin. Er berichtete als Reporter für den Spiegel und die Zeit aus Konfliktgebieten weltweit, bevor er sich auf die Klimakrise konzentrierte. 2021 erschien zusammen mit Theresa Leisgang das Buch »Zwei am Puls der Erde – Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise« und warum es trotz allem Hoffnung gibt. Seit Januar 2023 engagiert er sich bei der Letzten Generation. Am 17.8. und 18.8.2023 stellt Raphael Thelen seinen Debütroman »WUT« bei uns im Studio vor. Anlässlich der Buchpremiere haben wir uns mit ihm zum Gespräch verabredet.

Die Entscheidungen, die wir jetzt und in den kommenden Jahren treffen, verändern das Klima für die nächsten tausend Jahre.

Wieso ein Roman über Wut/Klimaaktivismus?

Ich habe schon einige Jahre über die Klimabewegung geschrieben, als Journalist. Und davor auch über die Revolution im Nahen Osten und über Pegida. Und überall dort habe ich viel Wut erlebt, aber in der Klimabewegung nicht. Und ich habe mich gefragt: Wo ist diese Wut? Und die erste Inspiration, die ich dann hatte, um darüber zu schreiben, war ein Roman.

Worum geht es konkret in deinem Roman?

Konkret geht es um eine Demo, die zu einem Riot wird. Es ist letztlich nur die Geschichte von ungefähr acht Stunden. Aber auf den anderen Ebenen geht es natürlich um viel mehr. Wo ist unsere Wut? Sollten wir wütend sein? Was ist die Stärke von Wut und was ist vielleicht auch die befreiende Kraft, die in Wut drinsteckt? Und wo kann sie uns hinbringen? In meinem Fall – in dem Buch – ist das sowas wie ein Happy End.

Wie viel Raphael steckt in Vally, Sara und Wassim?

Ich habe mich vor zwei Jahren noch selber gefragt: Wo ist meine Wut? Warum bin ich nicht viel wütender über den Zustand der Welt, oft auch in persönlichen Beziehungen? Warum setze ich keine klaren Grenzen? Ich habe angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Und deswegen steckt natürlich auch eine Menge Raphael in diesen Figuren, die sich mit ihrer Wut, die sich mit politischer Wut, individueller Wut auseinandersetzen. Und ich glaube, das ist ja fast immer so, dass ganz viel von einem selbst in jeder literarischen Figur drinsteckt.

Du hast vorher als Journalist u.a. bei der Zeit Online und beim Spiegel gearbeitet. Wieso bist du zum Aktivismus gewechselt?

Wir kennen die Fakten zur Klimakrise. Die Entscheidungen, die wir jetzt und in den kommenden Jahren treffen, verändern das Klima für die nächsten tausend Jahre. Führende Klimawissenschaftler*innen sagen, dass das Klima bis Ende des Jahrhunderts kollabieren wird. Das heißt dann der Zusammenbruch unserer Zivilisation. Ich habe erlebt, was das bedeutet in Ländern wie Syrien, Libyen oder Afghanistan, wo ich als Reporter war. Und der Journalismus reagiert darauf nicht angemessen. Er tut immer noch so, als wäre eigentlich alles okay. Deswegen habe ich mich der Letzten Generation angeschlossen, weil das der Ort ist, wo klar, mit Dringlichkeit, aber auch angemessen kommuniziert und vor allem auch gehandelt wird.

Wie wichtig ist dir ziviler Ungehorsam und was bedeutet er für dich?

Ziviler Ungehorsam ist ja vor allem erst mal nur das bewusste Übertreten von Regeln eines Systems von dem man das Gefühl hat, es macht gerade einen Riesenfehler oder es ist moralisch ungerecht. Es stammt aus Indien unter Gandhi und wurde von Mandela und Martin Luther King weiterentwickelt. Da ging es im Kern um moralische Fragen. Und das stellt sich ja gerade auch wieder. Wollen wir in unserer Gegenwart noch so viel rausballern und so viel 180 km/h auf der Autobahn, wie wir Bock haben? Oder wollen wir dieses System ändern, uns verändern, damit auch Menschen in anderen Teilen der Welt eine Zukunft haben, aber auch wir selbst? Und da ist ziviler Ungehorsam unglaublich kraftvoll und auch befreiend.

Was bedeutet Wut für dich?

Wut bedeutet für mich vor allem Klarheit. Einstehen für das, was einem wichtig ist. Sich nicht verstecken, sondern nach vorne gehen. Natürlich kann Wut auch zerstören, aber Wut gibt auch eine wunderschöne Festigkeit und zugleich etwas Schützendes.

Wann warst du zuletzt so richtig wütend?

Richtig wütend werde ich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, dass wir das mit der Klimakrise seit 40, 50 Jahren verstanden haben. Und dass große Konzerne wie die Ölkonzerne ganz bewusst die Wahrheit für ihren Profit verschleiert haben. Wenn ich darüber nachdenke, werde ich sehr wütend, rasend. Dass Menschen den einzigen bewohnbaren Planeten, von dem wir im Universum wissen, zerstört haben, weil sie einfach nur große Autos fahren wollten. Ich merke aber auch, seit ich bei der Letzten Generation bin und etwas tue, was sich sinnhaft anfühlt, bin ich seltener wütend, sondern habe so eine gute „nachvorne“-Energie. Wir können hier was tun und es funktioniert: Let’s do it.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich glaube, in Berlin gibt es überall so Nischen, wo ich Dinge erlebe, die für mich wie ein Ausblick sind auf die Zukunft, in der ich gerne leben würde. Wo es einfach ein Miteinander gibt. Und das klingt jetzt total abgegriffen, aber wo jede und jeder sein darf, wie er oder sie sein will. Wo es nicht mehr so sehr ums Materielle geht, wo es stärker um eigene Gefühle und Emotionen geht, wo es um Verbindungen und Beziehungen geht, darum, Zeit zu haben und nicht darum, wer das meiste hat. Und ich glaube, wenn ich mich in diesen Räumen in Berlin bewege, habe ich das Gefühl, dass das doch eine Zukunft ist, wie sie für uns alle sein könnte.