Nicole Hasenjäger im Interview

Wir haben uns mit einer der beiden Geschäftsführerinnen unseres Hauses, Nicole Hasenjäger, getroffen und darüber gesprochen, wie sich für sie das Arbeiten am Theater in Zeiten von Corona anfühlt. Und darüber, wie der Heimathafen Neukölln angesichts der ungewissen Zukunft da steht.

Wir haben Neukölln von Anfang an mit all seinen sozialen und politischen Problemen in unseren Stücken verarbeitet. Jetzt wollen wir einen Schritt weitergehen und unsere Bühne für den politischen Diskurs zur Verfügung stellen.

Nicole, wie sehr fehlt dir das Theater?

Die Kultur allgemein fehlt mir sehr. Nicht nur, dass der Zweck meiner Arbeit entfällt, auch in meiner Freizeit ist ein wichtiger Bestandteil verloren gegangen. Das ist sehr frustrierend.

Im November musste unser Haus – wie alle anderen Theater auch – den Spielbetrieb trotz funktionierender Hygiene-Konzepte erneut schließen: wie groß ist dein Verständnis dafür?

Wenn wir davon ausgehen, dass die Ansteckungen hauptsächlich im Privaten stattfinden, scheint die Schließung unangemessen, aber es geht eben nicht nur um unsere Gäste. Auch unsere Künstler*innen und Mitarbeiter*innen müssen geschützt werden. Da heißt es im Moment einfach nur: Je weniger Kontakte, desto besser. Und durchhalten!

Wie ist die Stimmung am Haus angesichts der bisher ausgefallenen Veranstaltungen und unklaren Zukunft?

Lockdown, Kurzarbeit, dazu das triste Novemberwetter – ich würde mal sagen, die Stimmung ist angespannt. Unsere Arbeit zeichnet sich durch viel Kreativität, Leidenschaft und Teamwork aus. All das wird gerade ausgebremst und das Strahlen des Saals fehlt uns einfach.

Wie lange kann der Heimathafen Neukölln noch unter diesen eingeschränkten Bedingungen durchhalten? Wie gut sind wir im Angesicht der Krise neuerlicher Einnahmeausfälle gewappnet? Wie gefährdet ist die Existenz?

Es ist unser Glück im Unglück, dass wir seit diesem Jahr durch die Konzeptförderung des Senats unterstützt werden. Damit haben wir einen Sockelbetrag, der zumindest für die Fixkosten reicht. Aber wir wollen ja Theater spielen, Programm machen und da ist leider nicht abzuschätzen, wieviel wir uns leisten können. Wir haben sehr früh die Handbremse für nicht lukrative Veranstaltungen gezogen. Aufführungen im Studio vor 23 Gästen sind unter diesen Umständen nicht zu verantworten, so dass wir momentan noch für den Saal (mit 149 Plätzen statt 400) planen können. Investiert wurde lediglich in das Hygienekonzept, alles andere wird geschoben. Dieses Jahr werden wir es schaffen. Die Frage ist, wie wird das nächste? Normalerweise machen wir von Oktober bis Dezember den Hauptteil unseres Umsatzes, der dann auch die lange Durststrecke des nächsten Sommers mitträgt.

95.000 Euro hat der Heimathafen Neukölln aus dem Bundesprogramm »Neustart Kultur» beantragt. Für ein Haus wie das unsere ist das für kurzfristige Maßnahmen eine Menge Geld. Was würden wir mit diesen Mitteln finanzieren? Können wir das Geld überhaupt sinnvoll investieren, schließlich handelt es sich um Investitionen in die Zukunft, und nicht zur Deckung der Liquidität?

Die Förderung von Frau Grütters ist ein absoluter Segen, um notwendiges Equipment anzuschaffen und endlich in neue (digitale) Formate zu investieren. Zudem sind damit die Ausgaben für das Hygienekonzept gedeckt. Es handelt sich jedoch nicht um eine Überbrückungshilfe, die haben wir bei Herrn Scholz beantragt.

Das Theater ist Krisen ja eigentlich gewohnt. Wie wird die Theaterlandschaft in 2021 aussehen? Droht uns ein Theatersterben?

Ich befürchte, dass nicht alle Theater überleben werden können. Aber die Berliner Künstler*innen sind Macher – sie sind gut vernetzt und es gewohnt, aus wenig viel zu machen. Es wird einige Zeit brauchen, bis sich unsere Kulturlandschaft wieder erholt hat – und zwar nicht nur die Theater. Auch die vielen Clubs, Kinos und all diejenigen, die die Kultur am Laufen halten.

Wird der Heimathafen Neukölln zukünftig auch stärker auf digitale Kulturangebote setzen, nicht nur, um so die Schließungsphase zu überbrücken? Spielen diese Angebote dann auch zukünftig eine Rolle in Form hybrider Konzepte?

Der Heimathafen Neukölln ist ja von Natur aus ein Haus mit diversen Angeboten. Natürlich hat das Live-Erlebnis mit Publikum Priorität, aber wir wollen auch digitaler werden. Wir haben drei Formate in Planung, die unsere Schauspieler*innen in den digitalen Raum ziehen werden. Das ist sehr spannend.

Ein Theater ist per se ja ein Medium des sozialen Austauschs, des Miteinander und des gesellschaftlichen Diskurses. Inwieweit wird und kann der Heimathafen Neukölln politische Antworten auf drängende politische Entwicklungen suchen und was können wir dahingehend hinsichtlich kommender Inszenierungen am Heimathafen Neukölln erwarten?

Wir haben Neukölln von Anfang an mit all seinen sozialen und politischen Problemen in unseren Stücken verarbeitet. Jetzt wollen wir einen Schritt weitergehen und unsere Bühne für den politischen Diskurs zur Verfügung stellen. Eine Podiumsdiskussion wie »RECHTER TERROR IN NEUKÖLLN« sollte dafür im November der Auftakt sein. Der Termin wird aber nachgeholt und wir sind für weitere Ideen und Impulse offen und dankbar.

In unserer neuen Realität ist die Kunst zu einem verzichtbaren Luxus geworden. Aber brauchen wir in Krisenzeiten das Theater nicht mehr denn je?

Auf jeden Fall! Kultur ist systemrelevant. Was wäre ein Leben ohne Unterhaltung, ohne sozialen Austausch, ohne Inspirationen durch Theater, Musik, Literatur? Natürlich ist heute fast alles im Internet verfügbar, aber ist das wirklich ein Ersatz? Nee, ich will das lebendige Erlebnis, das Lachen oder das Staunen der anderen miterleben. Von mir aus auch mit Maske. Aber ich muss raus raus raus und brauche diese Abwechslung. Ein Leben im Homeoffice ist kein Leben für mich.

Welche gesellschaftlichen Aktivitäten fehlen dir aktuell am meisten?

Das unbeschwerte Zusammensein mit Freunden, das Essen gehen, Sport machen, Kino, Konzerte. Neulich habe ich mit Kopfhörern für mich getanzt und gesungen. Gruß an die Nachbarn!

Hast du einen persönlichen Lieblingsort in Neukölln, den du gerne mit uns teilen möchtest?

Ich mag es, auf Flohmärkte zu gehen – z.B. zum »Nowkölln« am Maybachufer und »Die fesche Lotte« auf dem Kranoldplatz.

Hast du einen Vorschlag an unser Publikum, wie wir unsere Zeit bis zum Ende dieses niederschmetternden Jahres verbringen könnten?

Viel Musik oder den Podcast »fest und flauschig« hören.

Wir danken für das Interview.