Michael Ruf im Interview

Michael Ruf ist Autor und Regisseur der dokumentarischen Theaterstücke Asyl-Monologe (2011), Asyl-Dialoge (2015), NSU-Monologe (2016) und Mittelmeer-Monologe (2019 bis heute), und seit 2013 regelmäßiger Gast im Heimathafen Neukölln. Er ist Gründer und Leiter der gemeinnützigen Organisation Wort und Herzschlag. Am 24. November 2022 feiert Michael Ruf die Premiere seines neuen Stücks Die Klima-Monologe im Saal des Heimathafen Neukölln. Anlässlich der Premiere haben wir uns mit Michael Ruf zum Gespräch verabredet.

Klimawandel ist ein Prozess, dessen Folgen man teils erst nach vielen Jahren deutlich sehen kann, auch wenn sie dann oft drastisch sind.

»Die Klima-Monologe« erzählen von den weltweiten Kämpfen verschiedenster Menschen gegen den Klimawandel. Wann und in welchem Kontext entstand die Idee, dazu ein Stück zu erarbeiten?

Die Idee entstand vor ca. 3 Jahren. Es ist so dringlich, den Klimawandel aufzuhalten und gleichzeitig ist der Klimawandel so schwer greifbar. In vielen Regionen der Welt ist die Erderwärmung kein Zukunftsszenario, sondern bereits knallharte Realität. Wie bei meinen bisherigen Werken richtet sich mein Blick auf jene Geschichten, die wir viel zu wenig hören. Ich wollte die Dringlichkeit anschaulich und fassbar erzählen.

Welche Geschichten erzählst du und warum?

Eine Geschichte erzählt von einer Frau aus Bangladesch, die in den letzten Jahren gleich mehrere schwere Zyklone erlebt hat. Durch den Klimawandel treten diese dort immer häufiger und intensiver auf. Menschen in Dörfern an der Küste Bangladeschs haben selbst Reis und Gemüse angebaut und konnten davon ganz gut leben. Die Zyklone spülen das Wasser des Meeres auf das Festland. Die Böden versalzen, und somit können Nutzpflanzen nicht mehr angebaut werden. Es entzieht den Leuten die Lebensgrundlage.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Recherchearbeit zum Stück?

Bei meinen bisherigen Arbeiten zu geflüchteten Menschen oder Hinterbliebenen der NSU-Mordserie konnte ich mich mit allen Interviewpartnerinnen und -partnern persönlich treffen. Auch war es vergleichsweise einfach, mögliche Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden. Die allermeisten Gespräche für die Klima-Monologe fanden über die Distanz statt. Irgendwann hab ich ein paar Euro in ein »Zoom Pro«-Konto investiert…

Was hat dich in der Recherchearbeit zum Stück am meisten berührt?

Zu sehen, wie es vielen Betroffenen geht und gleichzeitig zu wissen, wer diese Probleme letztendlich auslöst. Viele Menschen im Norden Kenias haben mir erzählt, wie aufgrund der anhaltenden Dürre nahezu sämtliche Schafe, Kühe und Kamele in den letzten zwei Jahren weggestorben sind. Gleichzeitig ist der CO2-Ausstoß Kenias kaum nennenswert. Was sag ich dann bei so einem Zoom-Gespräch zu einer jungen Mutter, die nicht weiß, was sie ihren Kindern zu essen geben soll?

Wie ist deine künstlerische Auseinandersetzung mit den Geschichten?

Die Inszenierung ist schlicht. Kein Schnickschnack. Die Stories sollen möglichst schnörkellos erzählt werden.

An welche Grenzen bist du bei der Stückentwicklung gestoßen?

Meine Werke basieren ja immer auf vielen und ausführlichen Interviews. Nichtregierungsorganisationen waren trotz guter Intentionen zu beschäftigt, um da wirklich zu helfen. Letztendlich muss man eine Person für jede Region finden, die für Dich als ‚Field Agent‘ in Erscheinung tritt, also Gesprächspartnerinnen und -partner sucht und dolmetscht.

Was ist dieses Mal anders als bei deinen bisherigen Stücken?

Die Form ist sehr ähnlich wie bei meinen vorherigen Stücken. Klimawandel ist ein Prozess, dessen Folgen man teils erst nach vielen Jahren deutlich sehen kann, auch wenn sie dann oft drastisch sind. Die Suche nach Stories, die in einem Theatersaal funktionieren, war da relativ aufwendig.

Was kann Theater, was die Arbeit von NGOs nicht kann?

Auch NGOs erzählen teils von Einzelschicksalen. Aber ich habe den Eindruck, Theater kann sich besonders viel Zeit nehmen und ins Detail gehen, um etwas deutlich zu machen.

Ist das Stück eine Art Handlungsaufforderung?

Nach der Aufführung gestalten Aktivistinnen und Aktivisten ein Publikumsgespräch. Expliziter kann man eine Handlungsaufforderung nicht aussprechen…