Evy Schubert im Interview

Die Berliner Regisseurin und Multimediakünstlerin Evy Schubert arbeitet an der Schnittstelle von Theater, Film und Text. Bisherige Engagements hatte sie unter anderem am Schauspielhaus Wien, Landestheater Niederösterreich, Ballhaus Ost und Theater an der Parkaue. Nebenbei kuratiert und gestaltet sie Websites und Social-Media-Projekte wie zuletzt www.katastrophehatchance.today und www.ballaballa.solutions oder www.worldwidenap.org. Am 16. März 2023 feiert Evy Schubert die Premiere ihres Stücks »Beauty« im Studio des Heimathafen Neukölln. Anlässlich der Premiere haben wir uns mit ihr zum Gespräch verabredet.

Ich liebe Gesamtkunstwerke und Möglichkeiten, den kostbar flüchtigen Live-Moment des Theaters weiter zu spinnen und mit nachhause zu nehmen.

Wie bist du auf die Idee zu dem Stück gekommen?

Nach all den Negativschlagzeilen der letzten Monate, dem Überdruss an Krisen und Krisen in der Krise, brauchte ich irgendwas, mit dem ich mich diesem Fatalismus verabschieden konnte! Durch die Presse ist man mit einer Form der Berichterstattung konfrontiert, die extrem mit Superlativen arbeitet. Auch das bereits schwer zu Ertragende wird in seiner Hässlichkeit immer weiter gesteigert, um die mediale Aufmerksamkeit zu halten. Der Schock ruft also permanent den nächsten Schockzustand aus. Mir hat diese News Tristesse einfach gereicht, so dass ich eine textliche Form gesucht habe, damit umzugehen: Für den Theatertext von »BEAUTY« habe ich dann Massen von Schlagzeilen aneinander gereiht. Der Text besteht aus nichts anderem. Die Schlagzeilen sind allerdings alle ins Positive gedreht worden, als hätte man einen Positiv-Filter darüber gelegt. Es gibt also textlich zunächst erstmal eine endlose Verkündigung des Guten. Fate News sozusagen. Die formal eigenwillige Sprache die dadurch entsteht, führt die Superlative des Schrecklichen ad absurdum. Es entsteht eine Art Headline-Jargon frei nach dem Motto: Treffen wir uns bei der Apokalypse und schauen nicht weiter zu, wie die Welt untergeht! Es geht um die Frage, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen. Wie könnte eine »schöne« Welt aussehen? Was offenbart sich jenseits von Superlativen, Fake News oder Beauty-Filtern? Liegt da die Schönheit, die wir Menschen schon von Anbeginn suchen und die am Ende wirklich alle vereint? Mit der stückbegleitenden Website www.justanotherbeautysite.faith soll diese Auseinandersetzung multimedial zurück ins Netz wirken.

Welche inhaltliche Auseinandersetzung ist dir besonders wichtig, und wie versuchst du diese rüberzubringen?

Am liebsten wollen wir ein Fenster aufstoßen und vor allem eine sinnliche, theatrale Erfahrung bieten. Wir spielen mit: Horror, Psycho, Liebe. Wir suchen das Lachen, das einem im Halse stecken bleibt und provozieren ihre Sehnsucht, endlich und wirklich mal auf Dauer für das Schöne einzustehen! Wir suchen Humor statt Understatement. Wir wollen Sinnlichkeit und Diskussionsräume eröffnen, ohne den moralischen Zeigefinger auszupacken. Der Abend soll Lust machen. Lust machen, Fragen zu stellen und dabei aber auch über sich selbst lachen zu können. Vielleicht schaffen wir es auch, ein paar Ideale zu verwerfen. Behaupten wir doch mal was ganz anderes! Seien wir frech, akzeptieren wir diese ganze Hässlichkeit einfach nicht mehr! Hinfort mit dem Status Quo unseres Zeitgeistes! Auf der Bühne versuchen wir irgendwie den Abgesang auf unsere Dekadenz zu vollziehen und ein Loblied für das Leben auszurufen. Wenn aus dieser Suche eine Idee für die Zukunft entstehen kann, dann haben wir vielleicht ein bisschen Schönheit für möglichst viele gezaubert.

Wie verhandelt das Stück Schönheit und Geschlecht?

Eigentlich gar nicht! Das Spannende ist aber, dass der Begriff Schönheit sehr häufig direkt mit Geschlechterrollen, Äußerlichkeiten, Optimierung etc. in Zusammenhang gebracht wird – und dadurch leider auch oft direkt mit Frauen und der ganzen Schönheitsindustrie. Diese Assoziationen stellen wir auf den Kopf und wollen mit »BEAUTY« daran erinnern, dass Schönheit eine viel tiefere Bedeutung beiwohnen kann, die theoretisch in allem und jedem zu finden ist. Der Titel hat daher vielleicht auch etwas Provokantes: man muss sich erstmal eingestehen, dass man zunächst vielleicht auf eine plumpe Idee von Schönheit hereingefallen und dadurch selbst viel zu durchdrungen von einem kosmetischen Status Quo ist.

Was ist deine persönliche Definition von Schönheit?

Schönheit ist etwas Pures oder Unverstelltes, das durch seine Echtheit und nicht durch seinen Schein besticht. Auch hässliche Dinge, Fehler, Macken, Unmöglichkeiten… können für mich unheimlich schön sein. Weil sie echt sind und einen anderen Blick auf die Welt ermöglichen! Denn, egal wie sehr wir uns um Perfektionismus bemühen, irgendwo scheitern wir doch. In diesem Streben liegt für mich eine schöne Kraft, dieser Spagat aus Wollen und Können. Das ist so irre menschlich, genauso wie das Scheitern. Das macht uns nahbar, zeigt unsere Empfindungen. Schönheit ist nicht glatt, Schönheit kann berühren und verführen! Schönheit ist irre fragil, sie kann uns jeden Moment entgleiten – daher ist sie so kostbar und erstrebenswert.

Worüber legst du im Alltag einen Schönheitsfilter?

Ich lege keinen Filter über irgendwas, da hätte ich Angst, dass es mich blind machen würde. Ich versuche eher, die hässlichen Dinge erst mal neutral zu betrachten, das ist natürlich nicht immer leicht. Es gibt dieses alte Lied von den Neubauten, mit der Zeile »Beauty remains in the impossibilities of the body« – das hat mich irgendwie immer begleitet. Aalglatt interessiert mich nicht. Funktioniert natürlich nicht bei Kriegen oder anderen humanen Katastrophen, da hilft auch kein Filter, da hilft nur Verstand und Menschlichkeit!

Was kann die digitale Welt, was die analoge nicht kann?

Schnell sein und auf fragwürdige Weise verführen, zerstören und vernetzen.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Erarbeitung eines hybriden Theaterstücks?

Ich liebe Gesamtkunstwerke und Möglichkeiten, den kostbar flüchtigen Live-Moment des Theaters weiter zu spinnen und mit nachhause zu nehmen. Was kann der virtuelle und digitale Bereich, was die Bühne nicht kann und wie können diese Welten sich befruchten? Also kein plumper Live-Stream, sondern eher sowas wie eine eigene zusätzliche digitale Welt, die ihre Hände bis zur Bühne ausstreckt und andersherum. Also ist die Herausforderung gleichzeitig eine unheimliche Freiheit: Mit einem hybriden Stück kann ich ganz viele Ebenen abdecken, neu erfinden oder neu arrangieren und Zusammenhänge behaupten, die ich analog so erstmal nicht habe. Es ist natürlich doppelte Arbeit, aber online geraten wir in dieser Vorbereitungsphase gerade in einen total schönen Rausch, die Website wächst und wächst und lässt uns einen Größenwahn behaupten, den wir immer weiter ausreizen. So spielen wir auf sämtlichen Ebenen: virtuell, visuell, musikalisch, textlich. Wir sind eine globale Bewegung! Wirklich! Vor allem weil wir es behaupten! Das Internet hat ja kein Ende und diese Art der Überdosis, drehe ich gerne in maximale Freiheit um. Wir können online auch eine Ewigkeit behaupten, die wir auf der Bühne – glücklicherweise – gar nicht haben. So liegt die Herausforderung vielleicht darin eine nachvollziehbare, sinnliche Verknüpfung von digitalem und analogen Raum zu schaffen. Als Begegnungsorte, die vom Publikum gleichermaßen aufgesucht werden. Daher versuchen wir mit den eingesetzten Multimediatools leicht zugänglich zu sein. Ein Instagramfilter oder ein Mozilla Hubs Raum kann hoffentlich für möglichst viele handhabbar sein. Das ist ganz wichtig: hybrid aber nicht exklusiv.

Mit welchem Gefühl verlässt man das Stück?

Oh, ich bin kein Orakel, aber ich hoffe, dass wir erstmal eine sinnliche Erfahrung bieten! Dafür haben wir ein wunderbares Team: Die beiden Schauspielerinnen Margarita Breitkreiz und Sabine Waibel, mit denen ich schon oft gearbeitet habe, gehören für mich einfach zu den Besten. Die sind einfach großartig! Dazu arbeite ich erstmals mit Sachiko Hara, die leider nur online dabei sein kann, zusammen, aber auch eine ganz individuelle Note mitbringt. Wir haben das Duo Komposter für Video dabei, totale Cracks und Maria Strauch, die Austatterin, sowie Micha Kaplan (Musik) und Carl-John Hoffmann (Musik und Multimedia) sind für mich auch ganz wichtige Partner. Gemeinsam suchen wir immer wieder Neues auf und haben viel Spaß dabei. Ich hoffe sehr, dass dieses sich überträgt. Den Gang der Welt werden wir mit dem Abend nicht ändern, aber wenn wir ein Fenster aufstoßen und die Zuschauenden auch etwas lachen werden, meinetwegen auch bis ihnen das Lachen im Halse stecken bleibt, dann haben wir eine Auseinandersetzung erreicht – was sehr kostbar ist. Wenn aus dieser Auseinandersetzung noch eine Aufbruchstimmung wird, dann geht man hoffentlich mit einer gut gelaunten Kraft nachhause.

Sehnst du dich oft nach digital detox?

Auf jeden Fall, den mache ich auch regelmäßig. Social Media tut mir überhaupt nicht gut, es interessiert mich auch nur, damit künstlerisch umzugehen, weil es ein so krasser (Zerr-)Spiegel unser Wirklichkeit sein kann. Das ist häufig irre hässlich – und daher so spannend, sich daran künstlerisch abzuarbeiten. Ich persönlich brauche echte Begegnungen, Natur und Menschen um mich – keine Like-Kultur oder einen Eternal News Feed an Schrott.

Wird die Produktion nach der Produktion weitergehen? Was können wir im Anschluss an die Aufführungen auf der Website erwarten?

Die Website bleibt nach den Vorstellungen vom 16.3. bis 18.3.2023 online und wird ab jetzt bis dahin regelmäßig mit neuen Bild-, Video-, Text- und Musikbeiträgen komplettiert. Die Online-Hochphase ist also während unserer Probenzeit. Auch wird es einen virtuellen Raum geben, den man betreten kann und der weiterhin online zugänglich bleibt. Als Special Feature laden wir zu einer Influencer Kampagne ein (http://justanotherbeautysite.faith/influencersonly), die jedoch ausschließlich vom 10.2. bis 18.3.2023 läuft. Die Vorstellungen sind vom 16.3. bis 18.3.2023 angesetzt und danach ist der analoge Teil abgeschlossen – was schlicht mit der Förderung zusammenhängt. Sollten wir eine weitere bekommen, würden wir uns sehr über anschließende Spieltermine freuen!