Pina Kühr und Pan Selle im Interview
Am 21. März 2025 feiern wir die Premiere von »Female* Fight Club« bei uns im Saal. Das Stück widmet sich zwei Themen, die in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert sind: regretting motherhood und verwaiste Elternschaft. Grund genug für ein paar Fragen an Pina Kühr (Konzept, Dramaturgie, Text) und Pan Selle (Regie, Konzept). Foto: Nora Lüders
”Verwaiste Eltern bekommen kaum die Möglichkeit, die Verarbeitung ihrer Geschichte mit echter Genauigkeit und Fürsorge zu erleben. Das wollen wir ändern.
Wie seid ihr auf die Idee zu dem Stück „Female* Fight Club“ gekommen?
Wir haben immer wieder in unterschiedlichen Kontexten darüber diskutiert, welche Themen wir auf der Bühne vermissen. In diesen Gesprächen haben wir uns über Stoffe ausgetauscht, die uns in ihren Bann zogen. So kam es, dass wir eines Tages über »Die Wut, die bleibt« von Mareike Fallwickl diskutierten und darüber unsere gemeinsame Neugierde auf FLINTA* Kampfsport entdeckten (Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen). Wir suchten nach Angeboten in Berlin und haben uns gefreut, schnell fündig zu werden. Dort konnten wir eindrücklich erleben, wie viel Kraft in der weiblichen* Wut steckt. Uns wurde klar, wie sehr uns das in unserer weiblichen Sozialisation gefehlt hat und dass wir beide den starken Wunsch haben, das an ein größeres Publikum weiterzugeben. Auch die Lektüre von »Toxische Weiblichkeit« von Sophia Fritz war uns ein wichtiger Ankerpunkt, uns kritisch mit den erlernten stereotypisch-weiblichen Strukturen und Verhaltensmustern auseinanderzusetzen.
Wer sind die Figuren in Eurem Stück? Beschreibt gerne die einzelnen Charaktere kurz und ihre Funktion im Stück.
Konni ist Mutter eines zweijährigen Kindes. Sie hat mit den weiblichen Rollenzuschreibungen zu kämpfen, denen sie sich noch mehr ausgesetzt fühlt, seitdem sie Mutter ist. Sie hat nicht mehr genügend Zeit für ihre Arbeit als Journalistin und Autorin. In einem Streit ist sie ihren Partner körperlich angegangen, weshalb sie jetzt im Female* Fight Club lernt, ihre Wut zu kanalisieren.
Leo hat vor zwei Jahren ihr Kind verloren. Kurz nach dem Tod trennte sie sich vom Vater des Kindes. Sie kämpft mit einer schweren Depression. Da sie sich mit ihrer Trauer oft als zu viel und fehl am Platz empfunden hat, ist sie immer mehr in die Anpassung und damit ins Schweigen übergegangen. Gleichzeitig staut sich in ihr eine Wut an, eine Empörung darüber, wie sehr sie als verwaiste Mutter allein gelassen wird. Sie versucht jetzt, in den Kontakt mit ihrer Wut zu kommen, weil sie ahnt, dass das ein Weg heraus aus der Depression sein könnte.
Mithilfe der nicht-binären Trainingsperson Alex stellen wir die gesellschaftlichen Erwartungen an weibliches Verhalten grundsätzlich in Frage. Alex hat diesen Club gegründet, damit gerade Menschen, die schon Gewalterfahrungen gemacht haben, sicher trainieren können. Hier lernen Menschen mit weiblicher Sozialisation ihre eigene Wehrhaftigkeit kennen, lernen Grenzen zu setzen und für sich selbst einzustehen.
Warum sind gerade diese Themen für Euch wichtig und interessant?
Wir haben uns eine non-binäre Person gewünscht, deren Geschichte nicht problematisiert wird, die durch ihren Werdegang als starke Persönlichkeit in Erscheinung treten kann.
Der Verlust eines Kindes wird zwar gern als dunkle Backstory für traurige Kommissare oder als Brandbeschleuniger in einer ansonsten seichten Dramaturgie angewendet, dem Thema wird aber oftmals nicht wirklich die nötige Beachtung geschenkt. Verwaiste Eltern bekommen kaum die Möglichkeit, die Verarbeitung ihrer Geschichte mit echter Genauigkeit und Fürsorge zu erleben. Das wollen wir ändern.
Zudem hat uns das gebrochene Schweigen über die Enttäuschung und Frustration, die für viele Frauen* mit der Mutterschaft verbunden sind, sehr bewegt. Im öffentlichen Diskurs nehmen wir zu #regrettingmotherhood aber immer noch eine Zurückhaltung wahr. Auch dieses Thema benötigt eine Bühne.
Wo wird sonst über diese Themen gesprochen? Gibt es dafür überhaupt Foren?
Regretting motherhood hat durch die von Orna Donath 2015 veröffentlichte Studie eine mediale Debatte erlebt, die dem gesellschaftlichen Bild von Mutterschaft sicherlich gutgetan hat. Dennoch hält sich hartnäckig die Vorstellung des absoluten Glücks, das für viele Eltern mit der Realität kollidiert. Gerade arbeitende Mütter haben nach wie vor mit so vielen Hürden und Ungerechtigkeiten zu kämpfen, was für uns ein Hinweis ist, dass das Thema weiter diskutiert werden muss.
Der Hashtag #verwaisteeltern hat bei Instagram immerhin 27,5 Tausend Beiträge. Dennoch ist es ein Thema, das noch immer marginalisiert wird. Der Tod eines Kindes unterliegt einer großen Berührungsangst, was dazu führt, dass Betroffene nicht nur einen schweren Verlust erleiden, sondern noch dazu damit allein gelassen werden. Wenn ein Kind kurz nach der Geburt verstirbt, entfällt die Elternzeit. Die Mutter muss nach Abschluss des Mutterschutzes wieder arbeiten. Gesellschaftlich fehlen uns die Kompetenzen, empathisch und offen mit dem Tod, vor allem aber mit dem Tod eines Kindes umzugehen.
Non-Binarität ist ein weiteres Thema, das ihr streift. Hat sich der Diskurs in Deutschland hierüber verändert und was denkt ihr dazu?
In der LGBTQIA+ Community gibt es einen wachsenden Markt an Literatur, die sich mit non-binärem Leben beschäftigt; dennoch ist unser Eindruck, dass es im allgemeinen Verständnis immer noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Der feministische Diskurs ist diesbezüglich gerade sehr präsent und führt häufig zu der irrigen Annahme, dass die tradierten Rollenbilder längst Schnee von gestern seien. Frauen* und Queers jenseits der binären Geschlechterkategorien, die in der Öffentlichkeit für ihre Rechte einstehen, sehen sich mit einem Backlash unter anderem aus der Männerrechtler-Szene, aber erschreckenderweise auch aus konservativen feministischen Kreisen (#tradwife) konfrontiert und müssen sich nach wie vor mit unzeitgemäßen Vorstellungen von Frauenbildern auseinandersetzen. Noch immer gelten mit § 218 Schwangerschaftsabbrüche als Straftat. Das zeigt, wie ungebrochen aktuell und emotional aufgeladen die Zuschreibungen an Weiblichkeit sind. Auch und gerade für männlich sozialisierte Menschen ist eine kritische Auseinandersetzung mit den stereotypen Rollenbildern unabdingbar, denn nur gemeinsam können wir die patriarchalen Prägungen, die wir alle zutiefst verinnerlicht haben und unter denen wir alle leiden, aufbrechen und echte Veränderung bewirken.
Habt ihr schon früher zusammengearbeitet oder ist das Eure erste Kollaboration? Und wie läufts? Streitet ihr Euch? Inspiriert Ihr Euch?
Wir kennen uns aus verschiedenen Hörbuchproduktionen und haben dort sofort gemerkt, dass wir künstlerisch eine ähnliche Sprache verwenden. Wir kamen in jedem Kontext in reichhaltige Debatten, die klar machten, dass ein gemeinsames Projekt unausweichlich ist. Darüber haben wir eine sehr produktive Streitkultur entwickelt, in der wir merken, dass wir weder Interesse an Hierarchien noch an Egoshooting haben. Uns vereint die Lust an der Sache. Für uns und unser gesamtes Team ist diese Arbeit eine Art Trainingscamp, bei dem wir die erlernten Strukturen von Harmoniebedürfnis und Anpassung über Bord werfen und üben können, gute Erfahrungen in Konflikten zu machen. Wir sind auf dem Weg.