Marielle Sterra und Dennis Depta im Interview
Marielle Sterra und Dennis Depta sind glanz&krawall: In ihrem spartenübergreifenden Musiktheater suchen sie seit 2014 unbekümmert die Konfrontation mit dem Rest der Gesellschaft – von der Hochkultur der Oper bis zur poetischen Verlorenheit eines Alleinunterhalters in der Dorfdisko. Dafür holen Sterra und Depta Formate wie Wrestling, Circus, Punkkonzerte oder Trabrennen in Theaterräume und bringen ihr Theater in den Stadtraum, z.B. in Clubs, Strandbäder oder Psychiatrien. glanz&krawall arbeiten generationenübergreifend mit Profis und Laien. Ihre Stücktexte entstehen im Probenprozess gemeinsam mit den Performer*innen. Ihr neues Stück SCHROFFENSTEIN: IN GRUND UND BODEN feiert am 9.5.2025 Premiere bei uns im Saal - wir haben ihnen ein paar Fragen dazu gestellt. Foto: Ralf Stiebing
”Kleist selbst hat sich bei einer Lesung derartig bepisst vor Lachen, dass er das Trauerspiel nicht bis zu Ende vortragen konnte.
Was hat euch an der Vorlage, Kleists Stück „Die Familie Schroffenstein“, inspiriert?
Dennis Depta: Heinrich von Kleist schafft Experimentieranordnungen zur Zeit Goethes, die so unversöhnlich, so frei, so verstohlen, so radikal anders sind als alles andere zu dieser Zeit. Die „elende Scharteke“, wie Kleist selbst „Die Familie Schroffenstein“ nannte, ist sein Erstling. Ein Romeo und Julia-Remake, ein unglaubliches Tohuwabohu, eine Posse im Jahr 1802. Im letzten Akt in einer dunklen Höhle töten die rachsüchtigen Patriarchen Rupert und Sylvester aus Versehen ihre eigenen Kinder und schließen darüber Frieden. Das ist die absolute Aufkündigung der Menschheit, der Zukunft. Kleist selbst hat sich bei einer Lesung derartig bepisst vor Lachen, dass er das Trauerspiel nicht bis zu Ende vortragen konnte.
Marielle Sterra: Wir sind große Kleist-Fans. Es hat uns gereizt, mal wieder zu einem Kanon-Stoff zu arbeiten. Zumal „Die Familie Schroffenstein“ sich mit dem Erben auf eine recht radikale Weise befasst. Im wissenschaftlichen Diskurs gibt es die These, dass wir uns heute in einer re-feudalisierten Gesellschaft befinden. Durch das Vererben von extremen Vermögen haben einige wenige Menschen in Deutschland völlig andere Startchancen im Leben als andere. So lässt sich von Kleist, einem der ersten Bürgerlich-Freien im ausgehenden Feudalismus des 19. Jahrhunderts ein Bogen ins Jetzt, in unsere Erbengesellschaft des 21. Jahrhunderts, in den Neo-Feudalismus schlagen.
Wie kann Umverteilung eurer Meinung nach funktionieren?
Sterra: Der erste Schritt zur Umverteilung ist, dass alle Menschen in diesem Staat gleich behandelt werden, zum Beispiel steuerlich.
Depta: Umverteilung funktioniert, indem man sie durchsetzt.
Erben ist ja auch ein Tabu Thema – man spricht nicht wirklich darüber, wenn man erbt. Denkt ihr es würde auch gesamt-gesellschaftlich etwas verändern, mehr darüber ins Gespräch zu kommen, was mit diesem Geld geschehen könnte?
Sterra: Auf jeden Fall. Wir denken generell, dass man über alle Tabus reden muss. Und Erben gehört definitiv dazu. Zumal der Diskurs übers Erben von Menschen geprägt wird, die sehr viel erben bzw. vererben und die Mehrheit glauben machen, sie wären mitgemeint, also von einer höheren Erbschaftssteuer betroffen etc. Dabei ist die Erbmasse in Germany super ungleich verteilt.
Depta: Es ist ein Tabuthema, weil es aktiv zu einem Tabuthema gemacht wird. Je weniger an die Oberfläche ploppt, desto besser für die oberen 10 %.
Und warum ist Theater ein guter Ort dafür?
Sterra: Theater ist ein Ort, an dem Themen in unserer Gesellschaft, die sonst unterdrückt werden und keinen Raum bekommen, auf die Bühne gebracht werden und dort ihre Wirkung entfalten. Deshalb ist es der ideale Raum, um endlich übers Erben und Vererben zu sprechen.
Was kann PUNK?
Depta: Punk kann alles und muss nix.
Sterra: Punk kann Ausdruck sein für starke Gefühle wie Wut, Ohnmacht aber auch Auflehnung. Punk kann zum Widerstand anstacheln, Leute zusammenbringen, kann Hoffnung geben, Hoffnung, dass unsere Gesellschaft, unser Leben anders sein wird. Natürlich wird Punk leider auch vereinnahmt. Gerade deshalb sollten wir den Punk auf keinen Fall diesen neoliberalen Pseudo-Business-Anarcho-Punks überlassen, die letztlich nur ganz miese Kapitalisten sind. WE CLAIM PUNK BACK. Punk lebt noch.