Margret Schütz und Çiğdem Üçüncü im Interview
Was passiert, wenn eine Rückkehr aus Istanbul, ein Dönerladen-Gespräch und eine feministische Hexe aufeinandertreffen? Genau: Ein neues Kiezklub-Stück entsteht! Margret und Cigdem nehmen sich zusammen mit 10 Berliner*innen in BITCHCRAFT den Figuren der Hexe und der Bitch an – unbequem, laut, selbstbestimmt. Es geht um Widerstand, patriarchale Zuschreibungen und das kraftvolle Umschreiben von Geschichten. In unserem Community-Theater entsteht ein persönliches, empowerndes Stück über Selbstermächtigung, Erinnerung und die Frage, wem eigentlich welche Erzählung gehört. Foto: Verena Eidel
”Es geht darum, eine Kraft zurückzuerobern, für die wir schon immer gefürchtet und kontrolliert wurden.
Wir sind mega stolz, dass der Kiezklub schon in die dritte Runde geht. Margret, du hast gemeinsam mit Sophia Keßen den Kiezklub gegründet. Cigdem, Du bist das erste Mal als Theatermacherin dabei. Wie kam die Zusammenarbeit zwischen Euch zustande? Und wie seid ihr auf das neue Thema gekommen? Erzählt doch ein bisschen, worum es gehen wird.
M: Letzten Sommer ist Cigdem aus Istanbul zurück nach Berlin gezogen und wir haben im Dönerladen um die Ecke gesessen. Ich hatte gerade für ein anderes Projekt ein langes Gespräch mit einer modernen heidnischen Hexe geführt, von denen es übrigens 6000 allein in Berlin geben soll. Und Cigdem hat von den vielen Straßenprotesten in Istanbul erzählt, bei denen die Hexe als feministisches Symbol auftaucht, zum Beispiel wenn es um den Kampf gegen Gewalt an Frauen geht. Das Thema kam also von verschiedenen Seiten auf uns zu.
C: An der Thematik sind uns folgende Punkte sehr wichtig: Bis ins 18. Jahrhundert wurden zehntausende Menschen – vor allem Frauen und auch queere Personen – als Hexen systematisch kriminalisiert, gefoltert und umgebracht, weil sie den Normen nicht entsprachen. Diese gezielte Stigmatisierung und Gewalt richtete sich gegen ihre Lebensweise und ihr Recht auf Selbstbestimmung – und wirkt heute noch in Form von geschlechtsspezifischer Gewalt und struktureller Diskriminierung fort.
In BITCHCRAFT arbeiten wir u. a. mit Zuschreibungen, die uns in einer patriarchalen Gesellschaft aufgezwungen werden – und mit Situationen, in denen wir diese Erzählungen überschreiben, verzerren oder neu erfinden. Es geht darum, eine Kraft zurückzuerobern, für die wir schon immer gefürchtet und kontrolliert wurden. Genau hier kommt neben der Witch auch die Bitch ins Spiel – als eine Figur, die unbequem, sexuell selbstbestimmt, laut und wütend ist, sich repressiven Strukturen widersetzt und vom gewünschten Rollenverhalten abweicht. Bitch wird im patriarchalen Narrativ als Beschimpfung genutzt, ist für uns aber empowernde Selbstbezeichnung. Denn dadurch, dass sie aufzeigt, wo patriarchale Kontrolle greift, besitzt sie auch die Kraft, diese zu durchbrechen. In BITCHCRAFT nehmen wir uns die Figuren Witch und Bitch zurück – spielerisch, machtvoll und auch zügellos. Hierbei ist unser Publikum mal Co-Conspirator, also Mitverschwörer*innen (nicht nur Verbündete), mal Projektionsfläche für gesellschaftliche Strukturen.
Cigdem, Du bist auch Fotografin und hast Dich auf dokumentarische Fotografie spezialisiert. Wie fließt diese Erfahrung in den Theaterprozess ein?
C: Neben meiner Arbeit im Kontext Theater(-pädagogik) und Performancekunst, bin ich im Fotojournalismus vor allem an dieser Frage interessiert: Welche und wessen Geschichten wurden und werden an den Rand gedrängt? Wie können wir unser kollektives Gedächtnis archivieren, während ein repressiver Verwaltungsapparat mit allen Mitteln versucht, genau dieses umzuschreiben? Es gibt beinahe nichts Bestärkenderes für eine Person, als ihr zu verstehen zu geben, dass ihre Geschichte mächtig ist und gehört werden muss. Die Arbeit mit Performance und Theater ist in dem Sinne – ähnlich der Fotografie – ein kollektiver Akt des Erinnerns und des Sichtbarmachens.
Welche Bedeutung hat die Arbeit mit nicht-professionellen Darsteller:innen für Euch?
M: Wir arbeiten super gerne mit Menschen aus der Stadt und ihren biografischen Geschichten, die dann im Prozess der Stückentwicklung inszeniert und auch fiktionalisiert werden. Oft entsteht in den Aufführungen eine große Nähe zwischen Spieler*innen und Publikum, vielleicht mehr als wenn man Schauspielprofis zusieht, weil den Spieler*innen das, was sie erzählen einfach viel bedeutet. Besonders schön ist auch zu sehen, wie die Gruppe für die Zeit der Proben eine Gemeinschaft wird, die sich über ein Thema austauscht und dabei auch persönlich wird. Die aktuelle Gruppe ist schon ein richtiger Hexenzirkel geworden.
Wie läuft beim Kiezklub der Auswahlprozess ab?
M: Zuerst gibt es für jeden Kiezklub ein Infotreffen, bei dem wir Thema und Konzept vorstellen. Eine Woche später findet dann ein Workshop statt, der offen ist für alle Interessierten. Dabei können alle praktisch ausprobieren, ob sie Lust auf unsere Arbeitsweise haben und anschließend unterhalten wir uns kurz mit jeder Person einzeln. Beim Kiezklub geht es nicht darum, dass man gut schauspielern kann oder viel Bühnenerfahrung mitbringt. Wir suchen Menschen mit starken persönlichen Bezügen zum Thema, die dann zu Inhalten des Stücks werden. Beide Seiten müssen die Zusammenarbeit wollen, wir suchen also ein Match wie beim Dating.
Wer macht bei Euch was? Wie ist Eure Arbeitsteilung?
C: Margret und ich haben natürlich unterschiedliche Stärken, denen wir in unserer gemeinsamen Arbeit Raum geben. Ich bin als Theaterpädagogin von Haus aus sehr stark auf Gruppenprozesse fixiert und genieße Momente, die wir untereinander herstellen, viel zu sehr, und kann leicht aus den Augen verlieren, ergebnisorientierter zu denken. Das Initiieren von Momenten, das intuitive und situative Reagieren, sind eher meine Stärken – vermutlich extra verschärft durch die Arbeit als Fotojournalistin.
Daher bin ich immer sehr froh, wenn Margret das große Ganze im Auge behält, den Fokus auf Details und Planung setzt und die Zweckmäßigkeit jeder Probe für den Aufführungsmoment herausstellt. Ich schätze auch ihre Offenheit, Begeisterung und Neugier für die Menschen um sie herum sehr. Es ist wie als könnte sie ganz natürlich herausfiltern, welche Stärken jede einzelne Person mitbringt und auf welche unterschiedlichen kreativen Weisen sie auf der Bühne von dieser Kraft schöpfen kann.
Wie geht es weiter mit dem Kiezklub? Gibt es schon Pläne für die nächste Spielzeit?
M: Der nächste Kiezklub startet im September. Die Leitung übernehmen wieder ich und Sophia Keßen, das wird definitiv lustig, diskursiv und ein bisschen trashig. Macht mit! Wir freuen uns auf euch und eure Geschichten.