Dennis Depta und Marielle Sterra im Interview

glanz&krawall sind eine Berliner (Musik)-Theatergruppe um die Regisseurin Marielle Sterra und den Dramaturgen Dennis Depta. Sie suchen unbekümmert die Konfrontation mit dem Rest der Gesellschaft – von der Hochkultur der Oper bis zur poetischen Verlorenheit eines Alleinunterhalters in der Dorfdisko. Dafür holen Sterra und Depta Formate wie Wrestling, Circus, Punkkonzerte oder Trabrennen ins Theater. Am 22.3.2024 feiern sie mit STADT DER TEUFEL Premiere im Heimathafen Neukölln. Grund genug für ein paar Fragen an die beiden.

Fürchtet euch nicht, aber dann wundert euch auch nicht.

Wie seid ihr auf die Idee zu dem Stück gekommen?

Marielle Sterra: Uns hat das Genre interessiert. Wir haben noch nie eine Operette inszeniert. Dann haben wir geschaut, welche Operetten fanden bisher wenig Beachtung und sind dabei auf Franz von Suppès »Der Teufel auf Erden« gestoßen. Auf die Wiener Operette. Die finden wir wichtig, auch im Gegensatz zur späteren Operette, wie sie in Deutschland während der Nazizeit populär war. Darin wurden gesellschaftliche Stereotype und Hierarchien zementiert. Die Wiener Operette hingegen hat die bestehenden Autoritäten hinterfragt und durch den Kakao gezogen. Dadurch ist sie für uns vom Geist und vom Zeitwert her auch heute noch spannend. Weil Suppès Teufeliade vom Plot dennoch ein wenig dünn war, reichern wir sie mit Elementen aus dem Roman »Der Meister und Margarita« von Michail Bulgakow an – auch um die Figuren im Stück auszudifferenzieren und interessanter zu gestalten. Im Roman geht es nicht nur gegen die Mächtigen in der ersten Reihe, sondern um die vielen kleinen Rädchen, die das System am Laufen halten. Da sehen wir Parallelen zu heute.

Was können wir von »STADT DER TEUFEL« erwarten?

Sterra: Einen lustigen, musikalischen, unterhaltsamen, traurigen, gruseligen Operetten-Bums.

Dennis Depta: Es ist viel los. Vor, neben und auf der Bühne.

Wie hat sich das Ensemble zusammengefunden? Was ist das Besondere an dem Ensemble? Wie entstand die Zusammenarbeit mit Peter Frost?

Sterra: Cora Peter Frost hat bei unseren Festivals »BERLIN is not BAYREUTH« und »BERLIN is not AM RING« mitgemischt. Mit einem Gastauftritt als Minnesänger hat er den Philipp Poisel-Typen mit viel Selbstmitleid und Schmalz beim Sängerkrieg gemimt und war in Performances mit dem Puppentheater Das Helmi und dem inklusiven Theater Thikwa dabei. Bei unserer »LA BOHÈME SUPERGROUP« im Club MenschMeier hat Mr. Frost eine der drei Hauptrollen übernommen.

Depta: Mit den Schauspieler*innen Eva Hüster und Felix Witzlau verbindet uns eine mehrjährige Zusammenarbeit. Wir haben zum Beispiel schon zusammen in der Neuköllner Oper bei »CATCH3000« gewrestlet. Und wir freuen uns riesig über einiges an Lokalkolorit, u.a. durch die Zusammenarbeit mit dem Quartierchor Nachtigall, der seit 8 Jahren im Rollbergkiez zusammen singt. Und auch über die Sängerin der Band Lovegaze, Jolene Holst, die mitperformen wird, in Neukölln lebt und im SchwuZ arbeitet.

Sterra: Und auf unsere Band mit Musicalexpertin Sarah Taylor Ellis an den Tasten, Kat Papachristou a.k.a. Tango with Lions am Bass und Pia Hüttl von der Band Pieuvre an den Drums.

Warum habt ihr euch für das Genre der Operette entschieden?

Depta: Die Operette als kleine Oper des 19. Jahrhundert ist uns ein grundsympathisches Genre. Weil sie vor allem versucht hat, fernab der Hochkultur Zuschauende für sich zugewinnen…

Sterra: …und sich über große Oper und Hochkultur lustig macht. Das ist ja etwas, das wir mit glanz&krawall permanent machen. Da ist die Gemeinsamkeit!

Depta: Die Operette ist ein Kind des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, ein Tanz auf dem Vulkan, der Taumel kurz vor dem Untergang einer Epoche, Dynastie, Gesellschaftsordnung. Es werden keine neuen Operetten mehr geschrieben, aber wir leben wieder in einer operettenhaften Zeit. Drinnen wird »Die Fledermaus« gegeben, während draußen die Klimakatastrophe lärmt.

Sterra: Grüße gehen raus an Volker Wissing und Christian Lindner.

Wie teuflisch wird der Abend?

Sterra: Teuflisch. Ihr müsst aufpassen.

Depta: Fürchtet euch nicht, aber dann wundert euch auch nicht.

Können wir was vom Teufel lernen?

Sterra: Immer dagegen. Gegen den Zeitgeist.

Depta: Der Teufel ist weder besser noch schlechter als die Menschen. Er ist ja ein Konstrukt der Menschen, eine Projektion des christlichen Europas, um das Böse auszulagern, zu verdammen und hinzurichten. Das interessante bei Bulgakow ist, dass der Teufel mehr beobachtet als aktiv wird. Er ist eine Instanz, die sagt: Das Teuflische sind nicht wir, es steckt in euch Menschen.

Sterra: Deshalb singen auch die Smashing Pumpkins: »The devil in me is the devil in you, my love«.

Depta: Ein teuflisches Zitat.

Wie viel Teufel steckt in uns?

Sterra: Naja. Vielleicht sollte man besser fragen: Wie scheiße sind wir? Und da ist die Antwort: Ziemlich scheiße.

Depta: In der Operette »Der Teufel auf Erden« findet der Oberteufel Satan seine teuflischen Minister nicht mehr. Diese machen Urlaub auf der Erde und sind in machtbesessene Menschen gefahren, u.a. am Theater. Und das ist der Gag der Operette: sind die Menschen so mies, weil der Teufel in sie gefahren ist oder sind sie einfach nur miese Menschen? Satan blickt nicht mehr durch.

Sterra: Wir alle haben kleine Teufels in uns. Da gibt es die guten Teufelchen, die sich gegen die Ordnung und Ungerechtigkeit auflehnen. Und dann gibt es die, die die Ausbeutungsstruktur bestärken. Und wahrscheinlich hat jeder Mensch Anteile von beiden.

Habt ihr den Teufel schon mal getroffen?

Depta: Ja, am Staatstheater Cottbus ist er mir mal auf einem langen Gang begegnet.

Wo finden wir Glanz und wo Krawall in dem Stück?

Sterra: Überall ist Krawall. Zwischendurch ist die Discokugel an für den Glam. Feierliche und wilde Chorszenen sind am Start, abgefahrene Choreos, Bierausschank während der Show und wir haben sogar ein Stadtfest aufgebaut.

Wie aktuell bzw. zeitlos sind die beiden Originale, die dem Stück zugrunde liegen? Kann man ihre Systemkritik auf heute übertragen?

Sterra: Franz von Suppès Zeitkritik in »Der Teufel auf Erden« lässt sich übertragen, wenn wir die Forderung der Unterteufel nach einer Verfassung, die hier in einer Monarchie des 19. Jahrhunderts gestellt wird, durch die Forderung nach Umverteilung ersetzen. Also, eine gerechte Verteilung von Vermögen und somit Teilhabe und Chancen im Spätkapitalismus. Unsere Ungerechtigkeiten beruhen nicht darauf, dass jemand seine Meinung nicht sagen kann oder dass es keine verbrieften Rechte gibt, sondern dass Einkommen, Vermögen, Wohnraum, Altersperspektiven etc. ungerecht verteilt sind und immer ungerechter verteilt werden. Und das ist das große Tabu innerhalb unserer Gesellschaft, das von einer Mehrheit der Bürger:innen nicht in Frage gestellt wird. Es wird lieber drumherum geschrien oder Nebenschauplätze aufgemacht oder Sündenböcke gesucht, statt an diese kapitalistische Wurzel der Ungerechtigkeit zu gehen. Das steckt in dieser Operette, im Aufstand der Unterteufel drin.

Depta: Und auch die Systemkritik Bulgakows, die in den 1930er Jahren in der Sowjetunion natürlich eine spezifische ist, lässt sich gut in die Gegenwart übertragen. Im Roman wird weniger der Obersatan Stalin angegangen, als die neuen, vermeintlich besseren Menschen im Moskauer Kommunismus. Die Teufelsbagage stellt fest: hupps, diese Menschen sind auf ihre eigenen Vorteile bedacht, auf Sicherheiten, auf Geld, auf Karriere. Und dafür müssen sie teuflische Dinge tun. Beide Systemkritiken lassen sich übertragen, weil wir natürlich nach oben treten aber auch hinterfragen müssen: wer spielt dieses Spiel aus Feigheit, aus Ängsten, die geschürt werden, aus Karrierismus mit? Und was geht dabei für die Gesellschaft verloren?

Mit welchem Gefühl verlässt man das Stück?

Sterra: Das wollen wir unseren Besucher*innen nicht vorschreiben.

Depta: Ihr werdet es ab dem 22. März herausfinden.